Alters- / Frailty-adaptierte Risikostratifizierung

Warum ist dies wichtig?

Ältere Menschen suchen zunehmend die Notaufnahme auf, sind kränker als jüngere Patienten und haben ein hohes Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen. Um diesen vorzubeugen, gilt es besonders aufmerksam zu sein.

Das Erkennen von Hochrisikopatienten ist bei Älteren schwieriger als bei Jüngeren, da sie sich mit unspezifischen Beschwerden (z.B. Schwäche oder Stürzen) vorstellen, die Interpretation der Vitalparameter durch die veränderte Physiologie, Komorbiditäten und Polypharmazie erschwert wird, sie häufig von etablierten Triage-Instrumenten unterschätzt werden und klassische Risikostratifizierungsinstrumente wie z.B. der NEWS bei älteren Patienten eine geringe Vorhersagekraft haben.

Wird die Vulnerabilität frühzeitig erkannt, könnten zeitnah durch die Durchführung gezielter Interventionen und die Verlegung in die adäquateste weiterführende Behandlungs-/ Versorgungseinrichtung das Risiko negativer gesundheitlicher Folgen begrenzt werden. Zudem könnte das Personal der Notaufnahme dafür sensibilisiert werden, Patientenpräferenzen in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Welche Risiken stratifizieren wir?

Kurzfristig: Kognitive Beeinträchtigungen (einschließlich Delir), Krankenhaussterblichkeit, ungeplante vermeidbare Wiedereinweisung, Aufnahme in eine Langzeitpflegeeinrichtung.

Langfristig: Funktionsverschlechterung, Aufnahme in eine Langzeitpflegeeinrichtung, 3- und 12-Monats-Sterblichkeit.

Wie können wir ältere Patienten mit einem hohen Risiko für einen prognostisch ungünstigen Verlauf erkennen?

Die etablierte primäre Beurteilung nach dem ABCDE- Schema ist auch bei älteren Patienten anzuwenden, sofern die veränderte Physiologie und evtl. vorhandene Polypharmazie berücksichtigt werden, welche die Interpretation der Vitalparameter beeinflussen.

Screening-Instrumente für Frailty und/oder kognitive Beeinträchtigung und/oder Delir, die für den Einsatz in der Notaufnahme geeignet sind, sind: APOP, 6-CIT, 4-AT, Klinische Frailty-Skala (CFS). Siehe auch das Poster „Geriatrisches Assessment in der Notaufnahme", „Delir und kognitive Beeinträchtigung".

Was können wir tun?

  1. Triagierung: Erwägen Sie die Einbeziehung eines Mobilitäts- und/oder Frailty-Scores (wie z.B. CFS) in den Triage-Prozess.

  2. Berücksichtigen Sie die zugrundeliegenden Beschwerden: Unspezifische Beschwerden (z.B. Unwohlsein) sind mit einer hohen Krankenhaussterblichkeit verbunden.

  3. Führen Sie eine primäre Beurteilung nach dem ABCDE-Schema durch. Wie auch immer:

    • Interpretation der Vitalparameter: Überprüfen Sie die individuellen Ausgangswerte und überwachen den Verlauf. Wenn die individuellen Ausgangswerte des Patienten nicht verfügbar sind:
    • Systolischer Blutdruck: Ein durchschnittlicher Blutdruck von unter 120 (bei Sepsis) oder 110 mmHg (bei Trauma) sollte bis zum Beweis des Gegenteils als pathologisch angesehen werden.
    • Herzfrequenz: Eine durchschnittliche Herzfrequenz von unter 50 oder über 100/min ist mit einer erhöhten Krankenhaussterblichkeit verbunden und sollte als pathologisch angesehen werden.
    • Temperatur: Eine normale oder erniedrigte Körpertemperatur ist bei Patienten mit Verdacht auf eine Infektion/Sepsis mit einer höheren Sterblichkeit verbunden als eine hohe Temperatur.
    • Achten Sie auf klinische Anzeichen eines Organversagens: Erhöhte Atemfrequenz, verlängerte kapillare Füllungszeit, schlechte periphere Durchblutung, geringe Urinausscheidung oder veränderter mentaler Status (siehe unten):
  4. Erheben Sie den Frailty-Status, evtl. vorhandene kognitive Beeinträchtigungen, Delir (in Verbindung mit Empfehlung 1 und 2).

  5. Beurteilen Sie vor Entlassung aus dem Krankenhaus die soziale Situation und den funktionellen Status wie auch deren Konsequenzen.

Toolbox

Risikostratifizierungsinstrumente, die Frailty einbeziehen oder speziell für ältere Patienten in der Notaufnahme entwickelt wurden, sind:

Information

Das Schulungsmaterial wurde von der Europäischen Task Force für Geriatrische Notfallmedizin entwickelt. Diese ist eine Kooperation zwischen der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM) und der Europäischen Gesellschaft für Geriatrische Medizin (EuGMS). Weitere Informationen finden Sie unter: geriEMEurope.eu oder folgen Sie uns auf @geriEMEurope.

Übersetzung auf Deutsch: Prof. Dr. K. Singler, MME

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