Überprüfung der Medikation älterer Patienten in der Notaufnahme

Warum ist das wichtig?

Bis zu 30% der Krankenhauseinweisungen älterer Menschen stehen in Zusammenhang mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). UAW gehen mit einem erhöhten Risiko für stationäre Krankenhausaufenthalte, unerwünschte Folgeerscheinungen, erhöhte Kosten und Versterben einher. Etwa die Hälfte aller UAW gelten als vermeidbar. Polypharmazie, eine erhöhte anticholinerge Last und die Verwendung potenziell inadäquater Medikamente (PIM) sind wichtige Risikofaktoren für unerwünschte Arzneimittelereignisse. Altersbedingte Veränderungen in Pharmakodynamik und -kinetik machen ältere Menschen zudem anfälliger gegenüber medikamentenassoziierten Schädigungen.

Wie führt man eine umfassende Überprüfung der Medikation in der Notaufnahme durch?

  1. Medikamentenabgleich:
    • Sammeln Sie über die aktuelle Medikation so viele Informationen wie möglich, einschließlich freiverkäuflicher Medikamente.
    • Führen Sie eine strukturierte Medikamentenerhebung durch: Medikamentenname, Dosis, Applikationsform, Einnahmemodus.
    • Ermitteln Sie alle rezenten Änderungen der Medikation, einschließlich Veränderungen der Dosis.
    • Erfragen Sie Compliance und tatsächlichen Einnahmemodus.
  2. Identifizieren Sie Einweisungen, die möglicherweise mit der Medikation in Verbindung stehen:
    • Prüfen Sie, ob eine UAW ein Faktor für die Einweisung sein könnte.
    • Berücksichtigen Sie medikamentöse Wechselwirkungen UND Wechselwirkungen zwischen Medikation und Erkrankungen (z.B. Stürze aufgrund orthostatischer Hypotonie bei Morbus Parkinson).
    • Bestimmen Sie die anticholinerge Wirkung. Diese stellt einen modifizierbaren Delir-Risikofaktor dar.
  3. Überprüfung der Medikation:
    • Führen Sie ein strukturiertes und standardisiertes Screening auf PIM durch (z.B. mit dem Medication Appropriateness Index (MAI) oder der FORTA-Liste).
    • Berücksichtigen Sie Patientenpräferenzen, die Hauptbeschwerden, Komorbiditäten, den Frailty-Status und die Prognose.
    • Screenen Sie auf eine mögliche Unterversorgung.
    • Überprüfen Sie eine psychotrope Medikation sorgfältig.

Falls eine umfassende Überprüfung der Medikation in der Notaufnahme nicht durchgeführt werden kann, erwägen Sie die Weiterleitung an eine geriatrische Tagesklinik oder das Hinzuziehen eines Geriaters/ klinischen Pharmakologen.

Arzneimittel, die häufig mit ZNA-Einweisungen einhergehen Häufige Medikamente mit starker anticholinerger Wirkung
Diuretika* Antihistaminika: Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Hydroxizin, Promethazin, Scopolamin
NSAR* Parasympatholytika: Biperiden, Trihexyphenidyl
Thrombozytenaggregationshemmer* Spasmolytika: Butylscopolamin
Antikoagulanzien* Muskarinrezeptorantagonisten: Oxybutynin, Tolterodin, Fesoterodin, Darifenacin, Solifenacin
Antidiabetika* Broncholytische Inhalativa: Ipratropiumbromid, Tiotropium, Aclidiniumbromid
Psychotrope Substanzen Mydriatica: Atropin, Scopolamin, Tropicamid
Anti-Tumortherapien Trizyklische Antidepressiva und ähnliche Wirkstoffe: Amitryptilin, Clomipramin, Doxepin, Imipramin, Nortryptilin
Immunsuppresiva Weitere: Carbamazepin/ Oxcarbamazepin

*) Die mit * gekennzeichneten Arzneimittelklassen machen zusammen 50-60% aller UAW aus.

Was können wir tun, um das Risiko von UAW bei älteren Menschen zu reduzieren?

  1. Therapiebeginn in der Notaufnahme:

    • Verschreiben Sie achtsam und erwägen Sie das Absetzen unnötiger Arzneimittel.
    • Vermeiden Sie PIM. Verwenden Sie z.B. die FORTA-Liste oder die START/STOPP-Kriterien bzw. andere Software-gestützte Systeme als Entscheidungshilfe. Ziehen Sie bei Unsicherheit einen Geriater oder klinischen Pharmakologen als zusätzliche Unterstützung hinzu.
    • Berechnen Sie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), anstatt allein auf das Kreatinin zu vertrauen; passen Sie die Medikationsdosis entsprechend an.
    • Vermeiden Sie NSAR oder Tramadol aufgrund des hohen Risikos von UAW. Setzen Sie bei Patienten mit starken Schmerzen starke Opioide ein. Ziehen Sie die Verwendung neuerer Opioide mit weniger Wechselwirkungen in Betracht.
    • Verwenden Sie Benzodiazepine nicht als Erstlinientherapie in der Delirbehandlung älterer Menschen (Ausnahme Alkoholentzugsdelir).
  2. Vor der Entlassung aus der Notaufnahme:

    • Reevaluieren Sie den Medikationsplan unter Berücksichtigung von Patientenpräferenzen, Lebenserwartung, Komorbiditäten und Umsetzbarkeit.
    • Informieren Sie Ihren Patienten und/oder die Betreuungsperson durch Aushändigung eines Medikationsplans inklusive Name des Generikums, Dosierung, Einnahmefrequenz und Grund für die Verschreibung.
    • Stellen Sie sicher, dass Weiterbehandler über alle Änderungen informiert sind.
    • Stellen Sie sicher, dass die Patienten über die korrekte Applikation/ Anwendung der Medikamente informiert wurden (z.B. die Anwendung neu verordneter Dosieraerosole).

Toolbox

Information

Das Schulungsmaterial wurde von der Europäischen Task Force für Geriatrische Notfallmedizin entwickelt. Diese ist eine Kooperation zwischen der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM) und der Europäischen Gesellschaft für Geriatrische Medizin (EuGMS). Weitere Informationen finden Sie unter: geriEMEurope.eu oder folgen Sie uns auf @geriEMEurope.

Übersetzung auf Deutsch: Prof. Dr. K. Singler, MME

References

  1. Fox C, Richardson K, Maidment ID, Savva GM, Matthews FE, Smithard D, et al. Anticholinergic Medication Use and Cognitive Impairment in the Older Population: The Medical Research Council Cognitive Function and Ageing Study. Journal of the American Geriatrics Society. 2011:no-no.
  2. O’Mahony D, O’Sullivan D, Byrne S, O’Connor MN, Ryan C, Gallagher P. STOPP/START criteria for potentially inappropriate prescribing in older people: version 2. Age and Ageing. 2014 October 16, 2014.
  3. Lavan AH, Gallagher P, Parsons C, O’Mahony D. STOPPFrail (Screening Tool of Older Persons Prescriptions in Frail adults with limited life expectancy): consensus validation. Age Ageing. 2017 Jul 1;46(4):600-7.

Download

Poster herunterladen (pdf).

Verfügbare Sprachen